Meine Objekte sind 10:1 Vergrößerungen von aufgelesenen, handgroßen Steinen: über eine feste
Struktur von bearbeiteten Haselruten und Bambus wird eine elastische Haut aus Papier gespannt.
Bemalt oder als Bildträger für Dias entstehen Körper, die ihre Schwere und Härte liegen
lassen und den Luftraum erobern.


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...am Sonntag mit dem Auto zur Alpe Lagutz, von dort auf die Rote Wand und zurück über die
Klesenzaalpe: das heißt Steine in allen erdenklichen Größen und Formationen. Zuerst holpert das
Auto über den endlos anmutenden geschotterten Güterweg, dann steigt man hinter Lagutz eine
auch nicht eben kurze Geröllhalde hinauf, zieht sich am Drahtseil durch die Felsen zum Joch
hinauf, läuft über steinige Wegleine im Zickzack den Hang hinauf und muss zuletzt den aufrechten
Gang zumindest stellenweise wieder aufgeben, um sich bis zum Gipfel hochzuarbeiten: da oben
gibt’s nur noch Steine, eine sehr schöne weiße Flechte mit schwarzen Flecken, und neugierige
Bergdohlen. Um nicht denselben Weg wieder zurück gehen zu müssen, zweigen wir etwa bei der
Hälfte des Hangweges ab zur Alpe Klesenza; dabei geht es durch ein noch größeres Geröllfeld als
zuvor; hier liegen rote und weiße Steine mit vielfältigsten Oberflächenstrukturen durcheinander;
während wir auf die Frauen in der Gruppe warten, die zurückgeblieben sind, und Steine sammeln,
sage ich zu S., dass ich morgen einen Besuch bei jemandem vereinbart habe, der aus Papier Steine
nachmacht. Wie nachmacht, fragt S. Sie sind wie Modelle von richtigen Steinen, er überspannt ein
Rutengerüst mit geleimten Papierschichten und bemalt sie, sage ich. Teilweise große Dinger, auf
einige Distanz sehen sie genau so aus wie jene Blöcke dort, zum Beispiel. S., der zwar Bilder von
zeitgenössischen Vorarlberger Künstlern an der Wand hängen hat, aber offenbar nicht weiß, dass
es in der Kunst Tabufragen gibt, stellt eine: Wozu macht er das? Frag mich was Leichteres und
stolpere weiter zu Tal.
Nachts, gute sechs oder sieben Stunden nach Abschluss der Wanderung sehe ich immer noch
Steinlandschaften vor mir, sobald ich die Augen schließe.
Am nächsten Tag sitze ich nachmittags in Suldis auf der Terrsasse der Ludeschers in der Sonne
und werfe gelegentlich durch die Glasscheibe einen Blick ins Atelier, an dessen Wand die Steine
hängen – oder eher zu schweben scheinen. Diese schiere physikalische Unmöglichkeit, dass solche
Brocken sich so schwerelos in dieser Lage befinden (die Wand bräche zusammen, wären sie echt),
lässt mich irgenwann an Margritte denken mit seinen präzisen Darstellungen des Unmöglichen.

„Wenn die Schwerkraft ihre reale Existenz durch die Gesetze,denen jeder Körper unterworfen ist,
beweist, so scheint im Gegenteil das, was ästhetische Emotionen auslösen kann, nur in der
Vorstellung des Menschen zu existieren und von diesem in allen Stücken erschaf en zu sein; auch
muss man, um dieses Etwas zu entdecken, auf andere Art suchen als die Goldsucher, man muss
ERSCHAFFEN,WAS MAN SUCHT; der Künstler besitzt die natürliche Befähigung für eine solche
Tätigkeit.“

(Die reine Kunst, 1922) Kurt Bracharz aus „Spät­Sommerliche Kunstplauderei“, Kultur, 1991

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LEICHTE STEINE

Die Freiheit der Obsession. Im ersten Moment mögen Hannes Ludeschers schwebende Steine so
paradox wirken wie dieses Begriffspaar. Skulpturaler Realismus kippt um in surrealistische
Irritation. Eine tonnenschwere Belastung trifft den unvorbereiteten Betrachter. Die Gefahr ist groß,
dass diese leichtfertig beiseite geschoben wird als etwas, das ohnehin schon längst abgehakt und
im Rahmen zeitgenössischen Kunstschaffens nicht mehr zeitgemäß erscheint. Doch für die
Arbeiten von Hannes Ludescher sind unbeirrbar andere Kriterien anzusetzen: methodisch
monolithische sozusagen.
Seit Jahren fertigt der Vorarlberger Künstler mit größter Akribie Simulacren von Findlingen, die in
Wirklichkeit tausendfache Vergrößerungen vorgefundener Gebirgssteine sind. Der Ablauf ist
beharrlich derselbe. Der Arbeitsprozess beginnt mit der Suche im oft unwegsamen Gelände, setzt
sich fort mit dem exakten Vermessen von Fundobjekten und endet in äußerst zeitaufwendigen
Konstruktionen aus Zweigen und darübergespanntem naturalistisch bemaltem Aquarellpapier.
Und trotz dieser verblüffenden handwerklichen Geschicklichkeit hat es den Anschein, dass
sich für Ludescher Kunst nicht auf der banalen Kunst–kommt–von–Können­Ebene abspielt
(auch wenn ihm dies immer wieder unwissentlich unterstellt wird), sondern sich aus einem
geradezu obsessiven Kunst–kommt–von–Müssen ableitet.
Und obwohl der Künstler sich ausschließlich einer Sache widmet, ist er in seinen Möglichkeiten
alles andere als eingeschränkt. Im Gegenteil: Kein Stein gleicht dem anderen. Weder in der Natur
noch auf dem Papier. Die Steine des Anstoßes ermöglichen dem Künstler einen qualitativen
Sprung ins Reich der Freiheit – er befreit sich damit von sich aus vom Anspruch, mit einem
Höchstmaß an Selbstbestimmung seinen künstlerischen Weg gehen zu müssen, er läßt sich stoßen,
um in der künstlerischen Weiterführung anzustoßen. Hannes Ludescher wiegt sich in Sicherheit, so
als ob er sich von einer unumstößlichen metaphysischen Lebensregel leiten ließe, die besagt, sich
mit dem Vorgefundenen abzufinden und daraus das Beste zu machen, auch wenn es so
unbedeutend und unscheinbar ist wie eben ein Stein im Gebirge.
Doch die Arbeiten von Hannes Ludescher verweisen noch auf einen weiteren Aspekt existenzieller
Grundlagen. Peter Sloterdijk entwickelt in seinem vor kurzem erschienen Buch „Weltfremdheit“
unter dem Titel „Selbstfindung“ passagenhaft ein interessantes Beziehungsgeflecht Stein­Mensch:
„Der einzige Grund, von Steinen auf den Menschen zu kommen, ergibt sich aus dem
Findlingseffekt, der unleugbar auch an menschlichen Subjekten auftritt. Es geschieht vielleicht
nicht häufig, aber es kommt vor, dass Menschen mitten in der Landschaft der Dinge innehalten
und auf ihr Ich aufmerksam werden. Plötzlich stoßen sie sich an dem unvergleichlichen
Sachverhalt, dass sie da sind...(..) Ich bin keines dieser Dinge – das bedeutet, ich finde keine
Zuflucht bein Unmenschlicehn mehr...“ Es hat den Anschein, das Hannes Ludescher seinen
künstlerischen Impetus direkt aus diesem Spannungsmoment heraus schöpft und seine
außergewöhnlichen Arbeiten quasi Denk­Male eines verlustig gegangenen, in sich geschlossenen
archaischen Seins­Zustandes sind.
Roland Jörg
in Nike specialsculpture, 1999

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„SKULPTUR IS AN AKT OF FAITH IN LIFE, IN ITS CONTINUITY. WE ALL DO THINGS LIKE
THIS: WE HAVE A STONE THAT WE KEEP IN OUR POCKET WHICH IS A GUARANTEE OF
LIFE ́S CONTINUITY, AND IT HAS TO DO WITH HOPING THAT THINGS WILL WORK OUT,
THAT LIFE WILL BE OKAY.“

­ ANTONY GORMLEY

AS AN ARTIST, HANNES LUDESCHER RESTRICTS HIMSELF TO CURIOUSLY VARIED
AND FASCINATING WORLD OF PEBBELS THAT HE USES AS STUDY MATERIAL AND
MODELS FOR HIS PAPIERSTEINE (PAPER STONES), DURING MOUNTAIN STROLLS, HE
IS CONSTANTLY ON THE LOOK OUT FOR THAT ONE INSPIRING COBBLE STONE
WICH ATTRACTS EXTRA ATTENTION BY ITS COLOUR AND SUBTLE, NATURAL
SURFACE PATTERN. THERE THEN FOLLOWS A CAREFUL ANALYSIS BEFORE HE
PROCEEDS TO A LABOUR ­ INTENSIVE AND CHASTENING PROCESS OF
RECONSTRUCTION A THOUSEND TIMES LARGER THAN THE ORIGINAL. USING
TWIGS, LUDESCHER MAKES A LIGHTWEIGHT FRAME OVER WHICH PAPER IS
MODELLED IN THE RIGHT FORM.
THE ILLUSION OF THE STONE IS THEN SEALED BY AQUARELLS. THE FACT THAT IT
IS HIS WORK THAT IS HANGING (OR IS IT FALLING?) IN THE KLOOSTERKERK IS A
FORTUNATE COINCIDENCE AS HERE, THE AMBIVALENT CHARAKTER OF THE
WORK IS GIVEN AN EXTRA PHILOSOPHICAL ­ RELIGIOUS CHARGE; WHAT SHOULD
BE UNDERSTOOD BY SMALL AND LARGE, LIGHT AND HEAVY, MATERIAL AND
SPIRITUALITY, HOW RELATIVE IS THE PERCEPTION OF THE SEEMINGLY SELF ­
EVIDENT. „DROP – FLOATING RIVERSTONE“ MOMENTARILY TURNS THE LAWS OF
NATURE UPSIDE DOWN AND AS LONG AS THE ROCK CONTINUES TO DEFY
GRAVITY, GIVES THE PUBLIC RESPITE FOR REFLECTION, FOR CONTEMPLATION
ABOUT TIME AND THE RELATIVITY OF ALL THINGS PARTICULARLY HUMAN LIFE
WHICH IN RELATION TO AN AGE – OLD STONE IS NO MORE THAN A FLASH OF
LIGHT.
­ MARIE JEANNE DE ROOIJ, DEN HAAG SKULPTUUR 2004